Stadt im Fokus

24. Januar 2022

Stadt im Fokus

polis magazin für Urban Development im Gespräch mit Thomas Bestgen über die Bedeutung von Stadtrendite, Verantwortung für die Stadt und die Herausforderungen, alle Akteur*innen mitzunehmen.

Sie sagten einmal, dass Sie in neuen Projekten „nicht jeden Quadratmeter vermieten“ wollen — eine überraschende Aussage für einen Projektentwickler. Woher kommt dieser Ansatz?

Wenn wir über Stadtquartiersentwicklung reden, geht es um mehr als nur ums Bauen. Bauen ist einfach. Wir beschäftigen uns mit der Wirkung unseres Bauens: Wie wirken unsere Gebäude und, vor allen Dingen, wie wirken die Nutzungen innerhalb des Hauses, wie wirken sie in die Nachbarschaft hinein. Insofern hat die Entwicklung von Stadtquartieren für uns etwas mit Haltung zu tun.

Und wie finanzieren Sie diese Haltung?

Indem wir in allen Projekten von Anfang an durchfinanziert sind. Wir spekulieren nicht und kalkulieren auch nicht mit maximalen Benchmarks. Unsere Kostenmiete ergibt sich aus dem Selbstkostenpreis, der unsere Refinanzierungsnotwendigkeiten mit den momentan historisch niedrigsten Zinsen berücksichtigt und wir Fördermöglichkeiten in Anspruch nehmen. Eigentlich ist es nichts anderes als die Umsetzung eines genossenschaftlichen Prinzips.

 …in das marktwirtschaftlich orientierte System der Projektentwicklung?

Die Immobilienbranche ist eine sehr schwierige Branche. Zweifelsohne ist die Spannbreite zwischen sozialverträglicher Marktwirtschaft und reiner Marktwirtschaft enorm. Auch, wenn es bereits andere Tendenzen gibt, operiert die Mehrzahl der Projektentwickler nach wie vor sehr renditeorientiert, sehr gewinnmaximierend. Das machen wir in der Tat anders.

 Warum? Ist Ihnen die Stadt und ihre Gesellschaft mehr wert als die Rendite?

Ja, denn nur so erreichen wir die viel diskutierte Mischung in der Stadt und können aus der Nachbarschaft heraus einen Mehrwert erzielen. Zugleich heißt das nicht, dass wir auf seriöse Gewinne verzichten. Doch wir investieren eben gleichzeitig viel Energie in den Mehrwert im Sinne einer Stadtrendite. Projektrendite ist für uns nur dann sinnvoll, wenn es auch diese Stadtrendite gibt. Es heißt oft, das sei nicht möglich und viel zu teuer. Aber ich stehe gerne dafür ein: Natürlich geht das. Es ist eine Frage des Wollens.

Könnte man es dahingehend zuspitzen, dass das Geld der Loyalität im Weg steht?

Mittlerweile ist so viel preiswertes Geld im Markt, dass es heute bei der Entwicklung von Quartieren nicht mehr die dominante Rolle spielt. So können wir heute Qualitäten in der Stadtentwicklung finanzieren, die früher unmöglich waren.

Das hört sich eigentlich sehr vielversprechend für die Stadt an. Aber warum geht dann ein Großteil der Entwickler noch immer einen anderen Weg?

Es wird oft sehr hochwertig gebaut und in diesen Fällen ist es auch legitim, den höchstmöglichen Preis zu erzielen. Das kann man so machen, muss man aber nicht – erst recht nicht, wenn einem das Thema Stadtrendite wichtig ist. Denn darin liegt die Krux: Es werden überwiegend Eigentumswohnungen gebaut und dann kommen diese Qualitäten nur einem sehr exklusiven Kundenkreis zugute.

Woran liegt es, dass die Rendite Stadt so selten mitgedacht wird?

Es liegt an den Marktteilnehmern. Aber diesen Umstand möchte ich gar nicht als „böse“ bewerten, das ist eben unser wirtschaftliches System. Ein Bauträger ist qua Definition ein Projektentwickler, der so viel Geld wie möglich verdienen möchte. Das ist vollkommen in Ordnung. Und viele Menschen sind glücklich in ihrer Eigentumswohnung. Die Frage ist nur, ob sich dadurch eine Mischung ergibt, die der Stadt zugutekommt. In dieser Hinsicht liegt die Verantwortung ausdrücklich bei der Politik: Es gilt, sorgsam mit Boden und Baurecht umzugehen.

Sie sehen also nicht die Bauträger in der Verantwortung, der Stadtgesellschaft loyal gegenüber zu treten? Es ist viel mehr eine Frage der lenkenden Werkzeuge?

Der Dreh- und Angelpunkt ist der Boden. Dieser ist knapp und befindet sich überwiegend im Verfügungsbereich von Privatpersonen oder Unternehmen. Dass sich die Städte so leichtfertig von ihren Flächen getrennt haben, war eine fatale Fehlentscheidung. Glücklicherweise ist die Stadt nie zu Ende gebaut. Für die Zukunft wäre es jetzt sinnvoll, Entwicklungen an Projektträgerschaften zu geben, die die Stadt und die Stadtrendite im Fokus haben. Kommunen haben hier zwei Einflussfaktoren. Neben dem Boden, über den sie noch verfügen, ist das die Baurechtschaffung. Denn Bebauungspläne werden nun einmal ausschließlich hoheitlich festgelegt durch die Politik. Es gibt keinen größeren und exklusiveren Einfluss als über diese Schaffung von Baurecht. Diese beiden Hebel können aber offensichtlich noch optimiert werden.

Welche Chancen sehen Sie dafür, dass diese Optimierung auch tatsächlich passiert?

Es gibt Städte, die schon jahrelang nach der Leipzig Charta von 2007 handeln, in der sich europäische Städte zur nachhaltigen und sozialverträglichen Entwicklung verpflichtet haben. Hamburg zum Beispiel, das entsprechend mit Konzeptvergabe agiert und einen geschützten Bereich für Genossenschaften und selbstorganisierte Baugruppen aufgebaut hat. Wenn das nicht gemacht und der Boden stattdessen versteigert wird, dann haben Projektträger, die zum Selbstkostenpreis gewisse Obergrenzen kalkulieren, keine Chance.

Sie arbeiten bei Ihren Projekten sehr viel mit lokalen Stadtakteuren und aufwendigen Beteiligungsformaten. Welche Rolle spielen diese in Sachen Stadt?

Stadt ist immer als Ganzes zu betrachten, als Zusammenwirken von Politik, Projektentwicklern, Stadtakteuren, Bürgerinnen und Bürgern. Es ist eine ständige Abwägung, und vor allen Dingen auch eine ständige Interaktion. Wenn jeder Bereich nur seine Eigeninteressen verfolgt, wie manche Investoren etwa, oder auch die Widerstandsfraktion „not in my backyard“, dann funktioniert Stadt als Gesamtgefüge nicht, zumindest nicht so, wie wir es uns wünschen. In der Stadtentwicklung zu moderieren und die unterschiedlichen Interessen, die mittlerweile sehr aggressiv verteidigt werden, so zu bündeln, dass am Schluss etwas Belastbares entsteht, das ist eine große Herausforderung.

Stadt ist also eine Herausforderung, die alle zusammen schultern sollten?

Definitiv. Es geht darum, ins Gespräch zu kommen und gemeinsam über den Mehrwert nachzudenken, der geschaffen werden soll. Ich plädiere dafür: Wenn es keinen Mehrwert gibt, der über die Verwertung allein hinausgeht, dann muss auch nicht gebaut werden. Das Leitbild und die Richtung der Stadtentwicklung gibt die Politik vor. An dieser Stelle braucht es vermehrt die Führung der Stadt. Und ja, jede und jeder trägt Verantwortung für Stadt. Wie können wir attraktivere Innenstädte fordern, wenn wir dann doch alle bei Amazon bestellen? Das Eigeninteresse einer Wohnungsbesitzerin, die ihre Immobilie lieber für 3.000 Euro über Airbnb vermietet als für 1.500 Euro an eine Familie, wirkt ebenso störend wie der Entwickler, der nur Eigentumswohnungen für 8000 Euro den Quadratmeter baut. Solche Punkte betreffen uns alle, sie bilden eine herausragende gesellschaftliche Aufgabe. Lassen Sie mich zum Schluss aber doch noch einmal explizit auf die Verantwortung der Projektentwickler zurückkommen: Es wäre schön, wenn hier frühzeitig darüber nachgedacht würde, was geleistet werden kann. Ich bin mir sicher, dass wir Projektentwickler im Sinne eines gemeinsamen Mehrwerts oftmals mehr leisten könnten, als wir es zurzeit tun. Da gibt es noch Ziele, die man sich stecken kann.

Ein sehr motivierendes Schlusswort. Vielen Dank für das inspirierende Gespräch!

Das Gespräch führte Lea Rickert. © polis magazin für Urban Development. Dezember 2021